Ich war letzten Donnerstag in Leipzig. Auf dem SPD-Bundesparteitag. Seit 2008 bin ich in der Partei, bisher aber eher passiv. Das wollte ich ändern. Also stieg ich hochmotiviert (und das soll um 8 Uhr etwas heißen) in den Interconnex, und fuhr zur Messe nach Leipzig.
Dort angekommen, stürmte ein Mitglied des BUND mit den Worten „Sie sind jung. Sie wird das interessieren“ auf mich zu und drückte mir einen Flyer mit „Retten Sie die Energiewende!“ in die Hand. Anscheinend war mein Jung-Sein ein Merkmal, das mich vom Rest der Genossen unterschied. Ich blickte um mich: ein ganzer Haufen geschäftiger ältere Männer im Anzug und ein paar Frauen im besten Alter mit roten Blazern liefen fröhlich zu den Türen. Herrlich, ich war Anfang Dreißig und ganz offensichtlich jung. Sobald die JUSOS auftauchten, hätte ich nicht nur Verbündete im Geiste, sondern auch im Alter.
Ich holte mir mein Badge und stellte mich dann in die Schlange für den Sicherheitscheck. Meine Taschen wurden durleuchtet, ich auch. Ich fragte mich, ob ich mich vielleicht in der Veranstaltung geirrt hatte. In der Messehalle drückten mir freundliche Mitarbeiter von Mc Donalds einen Caffé in die Hand. Bisher war mir der gesellschaftlich verantwortungsvolle Charakter dieses Unternehmens zwar entgangen, aber man lernt nie aus. In Zukunft konnte ich also mit gutem Gewissen Sozi-Pommes essen. Weiter ging’s zum Plenumssaal. Hier lief in Dauerschleife „Don’t want to be. All by myself.“ Hach, ich stimmte mich auf hochemotionale Reden ein: Auch in einer großen Koalition, würden wir zu unseren Werten stehen und Deutschland sozial gerechter machen. Ich mümmelte mich auf meinem roten Stuhl ein, trank meinen Caffé und dachte mir, Politik ist doch ne feine Sache.
Dann ging’s los. Die Andrea (Nahles) begrüßte fast eine Stunde lang die Versammelten, lobte mehrmals Leipzig (hier kann man sogar bis zu drei Kindern haben) und leitete dann zu Peer Steinbrück über. Bisher waren die Genossen doch sehr zurückhaltend. Kein frenetischer Applaus, kein aufgeregtes Gemurmel, man hielt sich mit den Emotionen zurück. Nun ja, kommt bestimmt noch. Ich setzte auf Peer. Aber auch hier: Die großen Emotionen blieben aus. Meine Themen im Übrigen auch. Ich persönlich würde mich sehr gerne für alles Mögliche engagieren, aber dafür reicht meine Energie nicht, also wird das Ganze auf drei Bereiche gebündelt: Familie (egal in welcher Ausprägung), Bildung und Digitalisierung. Da Betreuungsgeld, Kitausbau und NSA gerade total Trending sind, war ich mir sicher, dass ich zumindest einmal aufspringen und „Ja genau!“ sagen könnte.
Machen wir es kurz: Nööö, war nicht. Es wurde über Werte geredet. Aber ein Wert per se ist ja noch kein Wert, also Worthülle und weiter geht’s. Dann kam die Zukunft dran. Man solle sich für die Zukunft rüsten, man solle eine Partei werden, die man auch in Zukunft wählen kann. Ich war schon in Springstimmung, jetzt würden alle Sachen kommen. Auch wenn nur „Internetminister“ fallen würde, es wäre egal, ich wollte mich verdammt noch mal Identifizieren. Aber nix da. Zukunftsfähigkeit sei wichtig. Ich ging raus. Die Basis, die wird’s richten dachte ich mir und ab zu den Ständen.
Ich bin seit neuestem Mitglied bei D64, im „Zentrum für Digitalen Fortschritt“. Ja, das klingt sehr ambitioniert und tatsächlich sitzen da ein paar Menschen drin, die schon länger gute Sachen sagen, also nicht nur mal eben kurz auf den Digitalisierungszug aufspringen und ein paar Buzzwords rausposaunen. Also suchte ich die Genossen. Irgendwo würden sicherlich Banner und Schriftzüge mit Netzgesellschaft, Teilhabe und Datenschutz aufmerksamkeitswirksam platziert sein. Schließlich wollen wir viel erreichen und ich habe gehört Marketing hilft da. Ich durchschritt die Halle, hörte mir ein paar Arbeiterlieder an (Ob man so ein Gesangsbuch beantragen kann?) und suchte beglückt nach der Spitze der digitalen Fortschritts. Ich fand ihn irgendwann. Sehr versteckt auf dem Stand der Vorwärts. Die SOKO wäre über unsere Tarnung bestimmt höchst erfreut gewesen. Wir waren da, mit Schild, aber trotzdem undercover. Eine Dame, die anscheinend für das Branding zuständig war, lief alle zehn Minuten zu uns, um mal eben „aufzuräumen“. Wir passten irgendwie nicht rein. Man duldete uns zwar, aber bitte im Rahmen. In einem sehr kleinen Rahmen. Hübsch eingepackt in den SPD-Flausch, gerne auch mit pinken Quietschentchen. Große Ideen brauchen meistens Zeit, aber soweit ich informiert bin, sollte es mittlerweile angekommen sein, dass man das Thema Digitalisierung nicht in ein hübsches kleines Kästchen packen kann, das mal eben schnell verschwindet, wenn es nicht ins Bild passt. Ich meine, sogar der Tatort hat das Internet als Themenschwerpunkt ausgegraben. Das ist jetzt wirklich hochoffiziell in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Als dann Sigmar Gabriel auch noch verkündete, dass man Dinge ja „zur Not auch im Internet“ machen kann, hatte ich Lust mich auf den Boden zu legen und auf die Buchmesse zu warten. Da ist die Digitalisierung nämlich doch irgendwie angekommen.
PS: Ich krieche jetzt seit Freitag um diesen Text, nur falls sich jemand fragt, warum das bitte jetzt erst kommt.